
19. Januar 2021 • Lesedauer 9 Minuten
Newsletter Immobilienrecht: Entwicklungen im Gewerberaummietrecht in Zeiten von COVID-19
Anspruch auf Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGBEin Update finden Sie hier: Update im Gewerberaummietrecht
Der Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland und die damit verbundenen behördlichen Schließungsanordnungen weckten bereits Anfang des letzten Jahres bei den stark betroffenen Gewerberaummietern das Bedürfnis nach einem vermieterseitigen Entgegenkommen; angefragte Werkzeuge waren Stundungen, Reduzierung oder gänzliches Aussetzen von mietvertraglich geschuldeter Miete. Wir alle erinnern uns noch an die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den sogenannten „Coronastundungen” (die keine waren) und ähnlichen Themen.
Zum zweiten Mal nun wagt der Gesetzgeber den Versuch, den Gewerberaummietern auf rechtlicher Seite zu helfen und die bestehende rechtsunsichere Lage – gerade mit Blick auf einen möglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB – etwas zu lösen. Nachdem im Frühjahr 2020 bereits das Kündigungsrecht seitens der Vermieter aufgrund Ausbleibens von Mietzahlungen beschränkt wurde, sorgt nun der neue Art. 240 § 7 EGBGB für Gesprächsbedarf.
Sowohl bei den Gewerbemietern als auch bei deren Vermietern stellen sich wiederum viele Fragen und das, obwohl sich an der Gesetzeslage nicht wirklich etwas verändert hat.
Zusammenfassung
So wird lediglich die widerlegbare gesetzliche Vermutung aufgestellt, dass sich durch die staatlichen Maßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB ein Umstand, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat (die rein faktische Seite). Das ändert aber nichts daran, dass der Mieter für die weiteren Grundlagen einer Anpassung darlegungs- und beweisbelastet bleibt.
Des Weiteren: Wer in der Vergangenheit bereits einvernehmliche Lösungen, wie etwa Nachträge, mit den Mietern abgeschlossen hat, für den bleibt zu hoffen, dass diese einer gerichtlichen Beurteilung im Streitfall standhalten und “wasserdicht‘‘ sind.
Auch sehen wir kein echtes Risiko einer Rückwirkung auf die Fälle für den Zeitraum des ersten Lockdowns von April bis Juni 2020.
Auf Rechtsfolgenseite bedeutet dies daher nicht auch automatisch, dass dem jeweiligen Mieter ein Anspruch auf Vertragsanpassung oder gar Kündigung eingeräumt wird. Auch die damit bereits befassten Gerichte stellten diesen Umstand kaum in Frage. Ob ein Anspruch aus § 313 BGB zugesprochen werden kann, liegt vielmehr noch an der erforderlichen Einzelfallabwägung, in welche die Interessen beider Parteien des Mietvertrags eingestellt werden müssen. Hieran dürfte in den meisten Fällen eine Vertragsanpassung jedoch nach wie vor scheitern.
Im Detail
Wissend ob der mannigfaltigen Veröffentlichungen bislang, wollen wir Ihnen mit diesem Newsletter sowohl eine kurze Darstellung über die aktuelle Rechtslage, als auch eine Antwort auf die Frage, ob (nach wie vor?) eine ungeminderte Mietzahlungspflicht besteht, liefern und so vielleicht ein erstes Gerüst aus Sicht der beiden Mietvertragsparteien bei den sich in der Zukunft stellenden Fragen an die Hand geben.
Mietrechtliche Regelungen als Spezialregelungen
Vielfach gesehen haben wir die Frage, ob die Miete nicht aufgrund Sachmangels der Mietsache – sie kann ja nicht mehr betrieben werden – gemindert werden kann.
Betrachtet man zunächst das spezielle und damit anderen Vorschriften vorgehende Mietrecht (§§ 535 ff. BGB), so ist eine Mietminderung zu Gunsten des Mieters auszuschließen.
Den durch den BGH (BGH Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09; BGH, NJW 2011, 3151; BGH, Urteil vom 02.03.1994 –XII ZR 175, 92; BGH, Urteil vom 22.06.1988 – VIII ZR 232/87) geschaffenen Definitionen eines Sachmangels folgend, lehnen im Ergebnis im Falle von Corona-bedingten behördlichen Schließungsanordnungen nahezu alle damit befassten Gerichte einen Sachmangel ab. Laut BGH können zwar grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen zu einem Mangel führen, was jedoch zusätzlich erfordere, dass die Beschränkung ihre Ursache in der Beziehung der Mietsache zur Umwelt habe und nicht etwa an den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters liege (BGH a.a.O). Falls die Mietsache jedoch weiter zur Nutzung geeignet sei und lediglich der geschäftliche Erfolg des Mieters betroffen sei, realisiere sich, so der BGH, nur das vom Mieter zu tragende Verwendungsrisiko. Das Gebrauchsüberlassungsrisiko, das in die Sphäre des Vermieters falle, sei jedoch nicht betroffen (BGH, Urteil vom 16.02.2000 – XII ZR 279/97).
Entfall der Mietzahlungspflicht wegen Unmöglichkeit
Auch ein Entfall der Mietzahlungspflicht als Folge von Unmöglichkeit nach §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB wird vielfach von den Gerichten andiskutiert, ist jedoch im Ergebnis zu verneinen, da die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts nach Übergabe der Mietsache an den Mieter zeitlich nicht mehr anwendbar sind.
Wegfall der Geschäftsgrundlage – § 313 BGB
Es bleibt damit lediglich die Chance auf eine Anpassung der Miete durch die Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB.
Wie bereits einleitend in diesem Newsletter gesagt, hat der Gesetzgeber mit Einführung des § 7 zu Art. 240 EGBGB (geltend ab 31.12.2020) lediglich eine Auslegungshilfe bzw. Beweisvermutung eingeführt, die die Mieter nun für die Anwendbarkeit des § 313 BGB wegen schwerwiegender Änderung der Geschäftsgrundlage argumentieren und eine Anpassung der Miete fordern lassen.
Eine Vertragsanpassung nach der aktuellen Fassung des § 313 Abs. 1 BGB erfordert nach wie vor, dass (i) sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und (ii) die Parteien den Vertrag so nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, hätten sie diese Veränderung vorausgesehen. Darüber hinaus (iii) muss mindestens einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sein.
(i) Reales Element
Die Gesetzesänderung greift lediglich die Erfüllung der Voraussetzung (sog. reales Element) in (i) vorweg und nimmt an, dass die staatlichen Maßnahmen der Grund für die eingeschränkte Verwendbarkeit des Mietgegenstands sind. Der Gesetzgeber fordert damit den Beweis des Gegenteils durch den Vermieter, was bei entsprechenden Schließungen (und nur die zählen; nicht auch ein Abfallen der Kundenfrequenz aus anderen Gründen wie Zurückhaltung/Sorge der Verbraucher) schwerlich gelingen wird. Mann kann, selbst dann, wenn dies nur ein Strohhalm sein mag, mit der Allokation des Betriebsrisikos aufgrund der Beschaffung von behördlichen Genehmigungen arbeiten. Hier würde man im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dann dazu kommen, dass nicht nur die Umsetzung des Betreiberrisikos auf Genehmigungsebene – die Betriebserlaubnis – sondern eben auch der Betrieb selbst von den Parteien entsprechend beim Mieter allokiert wurde, sodass § 313 BGB gar nicht eröffnet ist.
Da der Gesetzgeber jedoch nicht in die weiteren Voraussetzungen eingreift, bleibt es am Mieter, deren Vorliegen zu beweisen und dies vor dem Hintergrund, dass § 313 BGB aufgrund seines Eingriffs bislang in die Vertragstreue sehr strenge Auslegungshürden erfährt (dies mag sich durch die gesetzgeberische Tendenz ändern, was aber abzuwarten bleibt).
(ii) Hypothetisches Element
So bleibt es (weiterhin) am Mieter, zu beweisen, dass (ii) seine Fehlvorstellung über den Umstand der Krise vor Vertragsschluss so bedeutsam war, dass er den abgeschlossenen Mietvertag in der Art und Weise nicht abgeschlossen hätte, wenn er die Krise vorhergesehen hätte (sog. hypothetisches Element).
Ob dieses Element vorliegt, ist eine Einzelfallfrage und nicht so einfach zu beweisen, gerade wenn der Vermieter die Umsätze nicht kennt. Ist die Miete aber stark umsatzgetrieben oder wurden ihm entsprechende Belege seinerzeit vorgelegt, kann man durchaus überdenken, ob hier das hypothetische Element gegeben ist, kannten doch beide Parteien die Umsatzerwartungen, haben diese oftmals mit entsprechenden Modellen belegt und – was wäre, wenn? – hätten den Vertrag kaum so abgeschlossen, hätten sie die pandemiebedingten Schließungen vorausgesehen.
(iii) Normatives Element
Weiterhin hat der Mieter laut BGH darzulegen, dass (iii) für ihn ohne Vertragsanpassung ein untragbares, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarendes und nach Treu und Glauben nicht zumutbares Ergebnis eintritt, sog. normatives Element (BGH, Urteil vom 11.10.1994 - XI ZR 189/93 in NJW 1995, 47, Rn. 4b).
Ist dem so? Die Gesetzesbegründung zu § 7 zu Art. 240 EGBGB hilft hier nicht weiter, da diese das normative Element weder bei der einen noch bei der anderen Partei allokiert. Es bleibt also eine Einzelfallbetrachtung mit Beweispflicht für die Erfüllung des normativen Elements beim Mieter.
Nach derzeitiger Rechtsprechung sind hierzu zum Beispiel sämtliche gezogene (Kostenersparnisse, Kurzarbeitergelder) und auch schuldhaft nicht gezogene Vorteile (so zum Beispiel auch der Onlinehandel, Incentivierung der Kunden durch Aktionen etc.) dem Mieter negativ anzurechnen. Weiterhin werden auch gesenkte Betriebskosten und die staatlichen Hilfen (außerordentliche Wirtschaftshilfen) zu Lasten der Mieter in die Abwägung eingestellt. Um also abschätzen zu können, inwieweit der jeweilige Mieter tatsächlich auch betroffen ist, wäre es von Nutzen, sich als Vermieter zumindest darlegen zu lassen, welche Hilfen im konkreten Fall beantragt und gewährt wurden, hier aber immer mit einem wachsamen Auge auch auf die anderen relevanten Normen und Themen in einer außergewöhnlichen Situation wie der Vorliegenden.
Prozessuales
Vorsicht ist geboten bei eventuellen Klagen. Die Gerichte sind durch § 44 EGZPO dazu aufgefordert, Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht für Grundstücke oder Räume, die keine Wohnräume sind, wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vorrangig und beschleunigt zu behandeln und gemäß § 44 II EGZPO den frühen ersten Termin spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift zu terminieren.
Rückwirkung
Schlussendlich, obwohl häufig anders dargestellt, dürfte es sich hier gerade nicht um eine Rückwirkung des Gesetzes für Fälle von April bis Juni 2020 handeln. Die Darlegungs- und Beweislast liegt diesbezüglich weiterhin beim Mieter. Ein Ausnahmefall für eine echte, rechtsfolgenanknüpfende Rückwirkung liegt nicht vor. Die Gerichte werden sich aber wohl aufgrund einer generellen Richtungsweisung entsprechend orientieren.
Wer in der Vergangenheit bereits einvernehmliche Lösungen, wie etwa Nachträge, mit den Mietern abgeschlossen hat, für den bleibt zu hoffen, dass diese einer gerichtlichen Beurteilung im Streitfall standhalten und “wasserdicht“ sind.
Sollten etwa gerade für die Zeiten der Pandemie abschließende, beidseitige Regelungen getroffen worden sein, die den wirtschaftlich veränderten Umständen gerecht werden, so dürfte aufgrund des Vorrangs der Vertragsabrede der Anwendungsbereich des § 313 BGB, trotz der Gesetzesänderung, erst gar nicht eröffnet sein, warum auch, hier haben die Parteien ja gerade aufgrund der Elemente (i) bis (iii) eine neue vertragliche Anpassung vorgenommen, die unseres Erachtens § 313 BGB vorgeht, da sie das konkrete Risiko (weiterer) behördlicher Schließungen damit bereits vertraglich abdeckt.
Conclusio
Im Ergebnis dürfte in eher seltenen Fällen von einem solchen nicht zumutbaren Ereignis für den Mieter auszugehen sein, sodass der extrem restriktiv anzuwendende Anpassungsanspruch aus § 313 BGB zugestanden wird. Ferner kann man ebenfalls flankierend ins Feld führen, dass eine solche Anpassung ggf. aufgrund Existenzgefährdung seitens der Vermieter ausgeschlossen ist, da diese nach wie vor zur Zahlung der Zins- und Kapitaldienste verpflichtet bleiben; dies gerade, wenn die Einschränkungen von vorübergehender, die Anpassung jedoch von längerer Dauer sind.
Es ist und bleibt daher weiterhin an eine Einzelfallabwägung geknüpft, die, wie einzelne Entscheidungen der Gerichte zeigen, in bestimmten extremen Ausnahmefällen auch zu Gunsten des Mieters zu Anpassungsansprüchen in Form einer Mietreduktion um 50% führen kann.
Im Übrigen bleibt aus diesem Grund auch zu empfehlen, für zukünftige Mietverträge bereits eine Art Pandemie-Klausel einzuarbeiten, um bestehende Rechtsunsicherheiten bereits im Vorfeld, so gut es geht, abzudecken und so den Boden für Diskussionen um das hypothetische Element zu nehmen. Dies gibt es dann nämlich nicht mehr, da es ein reales Element wurde, das die Parteien in Rechnung gezogen und entsprechend reflektiert haben.
Weitere Updates im Gewerberaummietrecht finden Sie hier.