Unwirksame Catch-all-Klauseln – Grenzen der nachvertraglichen Verschwiegenheitspflichten
Vertraulichkeitsklauseln in Arbeitsverträgen sind ein zentrales Instrument zum Schutz sensibler Unternehmensinformationen. Doch pauschale Verschwiegenheitspflichten stoßen schnell an rechtliche Grenzen. In einem aktuellen Urteil vom 17.10.2024 (Az. 8 AZR 172/23) stellt das Bundesarbeitsgericht (BAG) hohe Anforderungen an den prozessualen Vortrag zu Geheimhaltungsmaßnahmen und erteilt Catch-all-Klauseln erneut eine klare Absage.
Sachverhalt
Ein Unternehmen aus der Verpackungsbranche klagte gegen einen ehemaligen Mitarbeiter wegen der unbefugten Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Der Beklagte war bis Ende 2016 in leitender Funktion zuletzt als Central Technology Manager tätig und hatte damit Zugang zu sensiblen Informationen. Sein Arbeitsvertrag enthielt eine Verschwiegenheitsklausel über sämtliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie sonstige Betriebsangelegenheiten, die auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unbeschränkt fortwirken sollte. Später erfuhr die Klägerin, dass der Arbeitnehmer bereits während seiner Anstellung E-Mails mit geschützten Informationen an Gesellschafter eines potenziellen Wettbewerbers gesendet hatte. Nachdem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfolglos blieb, klagte das Unternehmen auf Unterlassung.
Kernaussagen des BAG
Das BAG verneinte einen Unterlassungsanspruch der Klägerin aus mehreren Gründen:
Unzureichender Vortrag zu Geheimhaltungsmaßnahmen
Einen Unterlassungsanspruch nach § 6 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) ließ das Gericht bereits daran scheitern, dass es bereits an angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen und damit an einem Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG fehle. Die Klägerin hatte in Bezug auf die Geheimhaltungsmaßnahmen schlicht auf technische Sicherheitsmaßnahmen und eine angemessene IT-Sicherheit verwiesen. Das Landesarbeitsgericht sah in diesem Vortrag eine pauschale Behauptung, die einer Beurteilung der Angemessenheit des Geheimnisschutzes nicht zugänglich sei, was vom BAG revisionsrechtlich nicht beanstandet wurde.
Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitsklausel
Nach Auffassung des Gerichts könne sich auch aus dem Arbeitsvertrag kein Unterlassungsanspruch ergeben. Die verwendete Verschwiegenheitsklausel sei zu weit gefasst und verpflichte den Mitarbeiter uneingeschränkt und unbegrenzt zur Geheimhaltung. Eine solche sog. Catch-all-Klausel benachteilige Arbeitnehmer unangemessen und sei nach § 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam. Laut BAG muss eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht auf konkret benannte Geschäftsgeheimnisse und einen begrenzten Zeitraum beschränkt sein.
Kein allgemeiner Schutz aus § 241 Abs. 2 BGB
Schließlich verneinte das BAG auch einen Unterlassungsanspruch aus § 241 Abs. 2 BGB. Zwar seien Arbeitnehmer nach dieser Vorschrift während des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen verpflichtet. Nach dessen Beendigung überwiege jedoch ihr durch die Berufsfreiheit geschütztes Recht, ihr erworbenes Wissen weiterzuverwenden.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass arbeitsvertragliche Geheimhaltungsklauseln klar definiert und angemessen ausgestaltet sein müssen. Pauschale Catch-all-Klauseln, die Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus unbefristet zur Verschwiegenheit verpflichten, sind unwirksam.
Arbeitgeber sollten bestehende Verträge insofern überprüfen und unklare Formulierungen anpassen, sodass die Geheimhaltungspflicht nur konkret bestimmte oder bestimmbare Geheimnisse erfasst und auch nur für einen bestimmten Zeitraum gilt. Falls eine solche Abgrenzung bei Vertragsschluss nicht möglich ist oder (zu) schwerfällt, sollte insbesondere bei Wissensträgern besser auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot zurückgegriffen werden, wobei insofern allerdings die Notwendigkeit der Zahlung einer Karenzentschädigung zu bedenken ist.
Gleichzeitig zeigt die Entscheidung, dass Unternehmen dringend die gesetzlichen Anforderungen der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ umsetzen müssen, um im Falle des Geheimnisverrats die weitreichenden Handlungsmöglichkeiten der §§ 6 ff. GeschGehG nutzen zu können. Unerlässliche Voraussetzung hierfür ist ein wirksames Schutzkonzept. Dieses sollte in Bezug auf die unterschiedlichen Informationen möglichst präzise ausgestaltet und durch konkrete technisch-organisatorische Maßnahmen wie Zugriffsbeschränkungen, Verschlüsselung oder ein Vier-Augen-Prinzip abgesichert werden. So kann trotz der bestehenden Unsicherheit bei der Formulierung vertraglicher Verschwiegenheitsklauseln mithilfe des GeschGehG ein effektiver Geheimnisschutz gewährleistet werden – einschließlich umfassender Durchsetzungsmöglichkeiten bei Geheimnisbrüchen.