Zum Einstieg Lesezeichen hinzufügen

Abstract_Building_P_0030
11. April 2024Lesedauer 4 Minuten

Entgelttransparenzrichtlinie

Access the English version

In wenigen Wochen feiert die Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTranspRL) ihren ersten Geburtstag. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen sie bis Juni 2026 in nationales Recht umsetzen. Wann dies in Deutschland geschehen wird, steht noch nicht fest. Avisiert ist ein Referentenentwurf für Ende des 2. Quartals dieses Jahres. Die finale Gesetzgebung abzuwarten ist allerdings riskant. Denn die EntgTranspRL enthält gegenüber dem aktuellen Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) grundsätzliche Änderungen, mit denen Arbeitgeber sich frühzeitig vertraut machen sollten.

 

Lohntransparenz vor und während der Beschäftigung

Die EntgTranspRL stärkt die Lohntransparenz bereits vor Beschäftigungsbeginn. Künftig müssen Arbeitgeber Bewerbern1 Informationen über das Einstiegseinkommen und dessen objektive geschlechtsneutrale Kriterien zur Verfügung stellen (z.B. in einer Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise). Ferner dürfen Arbeitgeber nicht mehr nach dem bisherigen Arbeitsentgelt fragen oder diesbezügliche Nachforschungen veranlassen.

Im laufenden Arbeitsverhältnis müssen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern die Kriterien für die

Festlegung des Arbeitsentgelts, der Lohnhöhe und der Lohnentwicklung leicht zugänglich zur Verfügung stellen. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. In welcher Form und welchem zeitlichen Abstand die Auskunft zu erfolgen hat, regelt die Richtlinie nicht. Die Mitgliedstaaten können Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern von dieser Verpflichtung befreien. Ob das in Deutschland erfolgt, ist momentan nicht absehbar.

 

Individueller Auskunftsanspruch

Darüber hinaus haben Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch über ihre individuelle Entgelthöhe und – aufgeschlüsselt nach Geschlecht – über die durchschnittlichen Entgelthöhen für die Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Dieser Anspruch ist aus mehreren Gründen wesentlich wirksamer als der bisher bestehende: Erstens ist er unabhängig von der Beschäftigtenanzahl des Arbeitgebers und der Größe der Vergleichsgruppe; zweitens ist er auf die durchschnittliche Entgelthöhe gerichtet und nicht auf den statistischen Median; drittens sind alle vergleichbaren Arbeitnehmer bei der Berechnung der durchschnittlichen Entgelthöhen zu berücksichtigen – nicht nur solche desselben Betriebs und derselben Region. Schließlich haben Arbeitgeber die Arbeitnehmer jährlich über ihren Auskunftsanspruch zu informieren.

 

Vergütungsstrukturen

Unternehmen jedweder Größe müssen künftig Entgeltstrukturen vorweisen, durch die gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleistet wird. Die Entgeltstrukturen müssen so beschaffen sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler und mit den Arbeitnehmervertretern vereinbarter Kriterien beurteilt werden kann, ob sich Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Diese Kriterien dürfen weder in unmittelbarem noch in mittelbarem Zusammenhang mit dem Geschlecht der Arbeitnehmer stehen. Ein Verweis auf eine Vergütung nach Tarifvertrag wird nicht ausreichen, denn – anders als das EntgTranspG – enthält die EntgTranspRL keine Angemessenheitsvermutung für Tarifverträge. Kernpunkt der Entgelttransparenz ist die geschlechtsneutrale Arbeitsbewertung. Diese kann nach Meinung zahlreicher Experten nur durch analytische Arbeitsbewertungsmethoden erfüllt werden, die bei Tarifverträgen bei der Bewertung, ob gleichwertige Arbeit vorliegt – jedenfalls bisher – keine große Rolle gespielt haben wird.

 

Berichtspflichten und gemeinsame Entgeltbewertung

Arbeitgeber ab 100 Beschäftigten müssen künftig regelmäßig unter anderem zur Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern berichten. Alternativ können die Mitgliedstaaten die Berichtspflicht an sich ziehen. Zeitpunkt und Häufigkeit der Berichterstattung sollen je nach Beschäftigtenzahl unterschiedlich geregelt werden.

Offenbart der Bericht eine Entgeltlücke von mindestens fünf Prozent zwischen den Geschlechtern, die sich nicht objektiv rechtfertigen lässt oder nicht innerhalb von sechs Monaten nach Abgabe des Berichts ausgeglichen wird, muss der Arbeitgeber mit der Arbeitnehmervertretung eine gemeinsame Entgeltbewertung vornehmen. Ziel der gemeinsamen Entgeltbewertung ist die Beseitigung der ungerechtfertigten Lohnunterschiede innerhalb einer angemessenen Frist. Besteht keine Arbeitnehmervertretung, ist eine solche zu ernennen, sobald eine gemeinsame Entgeltbewertung erforderlich wird. Sie soll existieren, bis die Lücke beseitigt ist. Wie das genaue Procedere aussieht und was die Folgen sind, wenn sich z.B. keine entsprechende Arbeitnehmervertretung findet, regelt die Richtlinie nicht.

 

Effektivität der Richtlinie

Die EntgTranspRL sieht ferner eine Beweislastumkehr bei einem Verstoß gegen die Transparenzpflichten sowie eine Verjährungsfrist von mindestens drei Jahren vor. Schließlich sollen die Mitgliedstaaten wirksame Sanktionen schaffen (z.B. Geldstrafen, die sich am Bruttojahresumsatz orientieren).

 

Praxishinweise

Arbeitgeber sollten die Zeit bis zur Umsetzung der EntgTranspRL nutzen, um ihr Vorgehen hinsichtlich Stellenausschreibungen und Bewerbungsverfahren zu überprüfen. Jetzt ist vor allem geboten, die eigenen Vergütungssysteme fundiert und mit Expertise auf Geschlechtsneutralität zu überprüfen und bei Bedarf nachzubessern. Arbeitgeber können sich durch Transparenz und Offenheit am Arbeitsmarkt profilieren.


1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten erfasst.