5. Juni 2024Lesedauer 4 Minuten

Kündigung eines schwerbehinderten Auszubildenden in der Probezeit

Bei der Beendigung von Ausbildungsverhältnissen spielen die rechtlichen Besonderheiten nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) oft eine entscheidende Rolle. Im vorliegenden Fall erfolgte die ordentliche Kündigung allerdings form- und fristgerecht innerhalb der Probezeit des Auszubildenden. Problematisch war indes, ob die Kündigung an die Schwerbehinderung des Auszubildenden anknüpfte und deswegen unwirksam war (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12 Januar 2024, 9 Sa 16/23).

 

Spannungen im Ausbildungsverhältnis

Der Kläger stand in einem Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten. Er ist schwerbehindert und wird von seiner Mutter gesetzlich vertreten. In dem Ausbildungsverhältnis kam es zu erheblichen Spannungen zwischen der Mutter des Klägers und den Mitarbeitern der Ausbildungsstätte. Die gesetzliche Vertreterin verlangte spezielle Maßnahmen im Hinblick auf die Behinderung des Klägers, darunter mehr Arbeitszeit im Praktikum, regelmäßige schriftliche Berichterstattung über alle ausbildungsrelevanten Entwicklungen und die Anwesenheit bei Vieraugengesprächen. Im Rahmen der diesbezüglichen E-Mail-Kommunikation bezeichnete sie einen Mitarbeiter der Beklagten etwa als unhöflich, respektlos und inkompetent. Die gestellten Forderungen wurden von der Beklagten schließlich abgelehnt. Sie kündigte das Ausbildungsverhältnis ordentlich während der Probezeit.

Dagegen wehrte sich der Kläger und erhob Kündigungsschutzklage. Die Kündigung sei unwirksam, weil sie an seine Schwerbehinderung anknüpfe und ihn unmittelbar diskriminiere. Die Beklagte beantragte Klageabweisung und gab an, dass die Mutter unerfüllbare Forderungen aufgestellt habe und mit ihrem Ausbildungs- und Betreuungskonzept einschließlich der Abläufe nicht einverstanden gewesen sei und dies in jeder Phase grundlegend kritisiert habe.

 

Entscheidung

Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen. Die Schwerbehinderung sei von Anfang an bekannt und Teil des Ausbildungsverhältnisses gewesen. Die Kündigung sei auf das bestehende Spannungsverhältnis zurückzuführen und nicht auf die Behinderung des Klägers.

Dagegen legte der Kläger erfolgreich Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) ein, das die Kündigung für unwirksam befand. Zwar könne ein Ausbildungsverhältnis während der Probezeit grundsätzlich ohne Angabe von Gründen gekündigt werden, allerdings müssten trotzdem die Bestimmungen des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingehalten werden. Es liege eine mittelbare Diskriminierung vor, weil die Kündigung an die Behinderung anknüpfe; denn sie beruhe auf Forderungen der gesetzlichen Vertreterin des Klägers, die durch die Behinderung des Klägers begründet seien. Selbst wenn der Ton der Mutter des Klägers unangebracht gewesen sei, rechtfertige dies keine Kündigung.

Das Gericht lehnte auch eine Rechtfertigung der Diskriminierung nach § 8 Abs. 1 AGG ab. Danach kann eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes – z.B. einer Behinderung – zulässig sein, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dementsprechend prüfte das Gericht, ob die Forderungen und Verhaltensweisen seitens der Mutter wesentliche berufliche Anforderungen im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG darstellten. Dies lehnte das LAG im Ergebnis allerdings ab und befand, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG nicht vorlagen. Dass vom Kläger keine Anforderungen an den Ablauf der Ausbildung gestellt werden oder dass seine Mutter Forderungen an die Beklagte in Bezug auf das Führen von Gesprächen stellt oder sich im Ton mäßigt, seien keine wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen.

Das LAG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

 

Praxishinweis

Arbeitgeber müssen auch bei Kündigungen während der Probezeit sicherstellen, dass diese nicht auf Gründen basieren, die mittelbar oder unmittelbar mit der Behinderung des Arbeitnehmers zusammenhängen. Es ist wichtig, Entscheidungen gut zu dokumentieren. Ferner sollten Arbeitgeber die besonderen Bedürfnisse behinderter Auszubildender ernst nehmen und nach Möglichkeit Anpassungen vornehmen, die deren Ausbildung unterstützen. Schließlich können regelmäßige Schulungen zum AGG und zur Sensibilisierung für Diskriminierungsthemen dazu beitragen, Konflikte zu vermeiden und ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Das ist vor allem deswegen relevant, weil es für eine Diskriminierung nach der Rechtsprechung keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht bedarf. Ausreichend ist bereits, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt.