
8. Februar 2024 • Lesedauer 3 Minuten
Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung: Abweichungen zwischen Vertragsgestaltung und Vertragsdurchführung
Unternehmen können bei einem Dritteinsatz von Arbeitnehmern die Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nicht durch eine Vertragsgestaltung umgehen, die vom tatsächlichen Geschäftsinhalt abweicht. Der Widerspruch zwischen Vertragsinhalt (keine Arbeitnehmerüberlassung) und Durchführung (Arbeitnehmerüberlassung) wird dann zugunsten der Arbeitnehmerüberlassung aufgelöst. Die tatsächliche Durchführung des Dritteinsatzes ist jedoch nur dann maßgeblich – und der Vertragsinhalt unbeachtlich – wenn die Vertragsparteien abweichend von der vertraglichen Vereinbarung tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung praktizieren. Ergibt bereits der Inhalt der vertraglichen Vereinbarung, dass eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, kann die tatsächliche Durchführung nicht zu einer anderen rechtlichen Einordnung des Vertragsverhältnisses führen. Dies entschied der neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 25. Juli 2023 (9 AZR 278/22).
DER FALL
Der klagende Arbeitnehmer war bei der E-GmbH angestellt. Eingesetzt wurde er jedoch bei der Beklagten, bei der er innerhalb eines Teams Steuergeräte für produzierte Fahrzeuge betreute. Das Team bestand aus Mitarbeitern der Beklagten sowie Arbeitnehmern von Fremdfirmen. Der Kläger machte geltend, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zustande gekommen sei, da er im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden sei. Die Beklagte vertrat hingegen die Ansicht, der Kläger sei als Erfüllungsgehilfe der E-GmbH im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags bei dieser tätig gewesen.
DIE ENTSCHEIDUNG
Nach der Rechtsprechung des BAG kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer unwirksam ist. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Arbeitnehmerüberlassung in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist.
Vorliegend machte der Kläger geltend, der im Vertrag zwischen der Beklagten und der E-GmbH festgelegte Leistungsgegenstand sei derart unbestimmt, dass er erst durch die Weisungen der Beklagten konkretisiert werden musste. Das BAG hielt diesen Vortrag für substantiiert: Der Kläger habe damit hinreichend klargemacht, dass die Vereinbarungen zwischen der Beklagten und der E-GmbH die (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand hatten.
Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt. Für die rechtliche Einordnung des Vertrags ist die tatsächliche Durchführung maßgeblich. Das BAG wies darauf hin, dass die Bezeichnung im Vertrag allerdings nur dann unbeachtlich ist, wenn die Vertragsparteien abweichend von den getroffenen Vereinbarungen tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung praktizieren.
Der Kläger habe mit dem Hinweis auf den unbestimmten Leistungsgegenstand des Vertrags zwischen der Beklagten und der E-GmbH seine primäre Darlegungslast erfüllt. Da ihm der konkrete Vertragsinhalt nicht bekannt war, hätte er keinen weitergehenden Tatsachenvortrag leisten können. Daher habe es im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei der Beklagten gelegen, dem entgegenzutreten und den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen darzulegen. Die Beklagte unterließ jedoch entsprechenden Vortrag. Das BAG ging daher davon aus, dass zwischen den Parteien aufgrund einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis begründet wurde (§ 10 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1a Hs. 1 AÜG).
PRAXISHINWEIS
Mit seiner Entscheidung hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung bestätigt: Im Hinblick auf den Vortrag über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AÜG obliegt dem Arbeitnehmer lediglich eine erleichterte, abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Fall zeigt darüber hinaus, dass bei Dritteinsätzen von Arbeitnehmern die relevanten Rechtsbeziehungen mit entsprechender Sorgfalt vertraglich festzuhalten sind. Denn das BAG betonte, dass die Bezeichnung im Vertrag zwischen Entleiher und Verleiher nur dann unbeachtlich ist, wenn die Vertragsparteien abweichend von den getroffenen Vereinbarungen tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung praktizieren. Bei unkonkreter Vertragsgestaltung dürfte es dem Entleiher wie vorliegend regelmäßig schwerfallen, einer Arbeitnehmerüberlassung substantiiert entgegenzutreten. Denn diese kann nur durch eine abweichende Darlegung der vertraglichen Vereinbarungen erfolgen. Die tatsächliche Durchführung kann hingegen nicht zu einer anderen rechtlichen Einordnung des Vertragsverhältnisses führen, wenn die Parteien die Arbeitnehmerüberlassung vertraglich vereinbart haben.
Das Urteil des BAG finden sie hier.