
30. Oktober 2025
Druckkündigung und Auflösungsantrag bei Verlangen der Belegschaft: LAG Niedersachen setzt klare Grenzen
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 13. Mai 2025 (Az. 10 SLa 687/24) die Voraussetzungen für eine sogenannte Druckkündigung erneut konkretisiert. Besonders relevant ist die Entscheidung für Fälle, in denen Arbeitnehmer tariflich unkündbar sind und dennoch wegen erheblichen Drucks aus der Belegschaft gekündigt werden sollen.
Sachverhalt
Der Fall betraf einen Arbeitnehmer mit über 15 Jahren Betriebszugehörigkeit, der nach Vollendung seines 40. Lebensjahres tariflich unkündbar war – d.h. eine Kündigung war nur noch aus wichtigem Grund möglich. Das Betriebsklima galt seit Jahren als äußerst konfliktbelastet, insbesondere durch erhebliche Spannungen zwischen dem Betroffenen und anderen Mitarbeitern.
Der Arbeitgeber geriet unter den Druck der Belegschaft, die aufgrund der anhaltenden Konflikte – teilweise unter Androhung eigener Kündigung - die Kündigung des Mitarbeiters verlangte. Der Arbeitgeber reagierte mit einer außerordentlichen Kündigung unter Gewährung einer sozialen, der anwendbaren ordentlichen Kündigungsfrist, entsprechenden Auslauffrist. Als Kündigungsgrund wurde allein der Druck aus der Belegschaft angeführt. Andere Gründe lagen nicht vor.
Im Kündigungsschutzprozess stellte der Arbeitgeber hilfsweise einen Antrag auf gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Entscheidung
Wie bereits das Arbeitsgericht wies das LAG sowohl die Kündigung als auch den Auflösungsantrag zurück:
Das Gericht stützte die Entscheidung auf die Grundsätze zur Druckkündigung, die nur in engen Grenzen zulässig ist. Fehlt es an einem zwingenden personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund, muss sich der Arbeitgeber in Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht zunächst schützend vor den Arbeitnehmer stellen und versuchen, die anderen Arbeitnehmer von ihrer Forderung den Kollegen zu kündigen abzubringen und somit aktiv zu deeskalieren. Dazu gehört beispielsweise die Einberufung einer Mitarbeiterversammlung, professionelle Mediation oder die Versetzung des Mitarbeiters.
Erst wenn die Maßnahmen des Arbeitgebers erfolgslos bleiben und bei Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers schwere betriebliche oder wirtschaftliche, nicht anders abwendbare Nachteile drohen, kann eine Druckkündigung als letztes Mittel gerechtfertigt sein. Im vorliegenden Fall habe es jedoch an einem ernsthaften, systematischen und planvollen Vorgehen des Arbeitsgebers zur Konfliktlösung gefehlt. Die Kündigung war daher unwirksam.
Auch der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag des Arbeitgebers scheiterte: Das Kündigungsschutzgesetz erlaubt einen solchen Antrag nur bei sozialwidrigen ordentlichen Kündigungen. Da der Arbeitnehmer tariflich unkündbar war und die Kündigung außerordentlich erfolgte, war der Antrag unzulässig. Eine analoge Anwendung der Norm lehnte das Gericht ausdrücklich ab.
Praxishinweise
Das Urteil verdeutlicht, dass Arbeitgeber bei Druckkündigungen besonders sorgfältig und strukturiert vorzugehen haben: Ein bloßes Nachgeben unter dem Druck der Belegschaft genügt nicht. Vielmehr sind umfassende Maßnahmen zur Konfliktbewältigung erforderlich, bevor eine Kündigung überhaupt in Betracht gezogen werden kann.
Für Arbeitgeber bedeutet das in der Praxis, dass sie bei eskalierenden Konflikten frühzeitig handeln, Gespräche moderieren, professionelle Unterstützung hinzuziehen und alle milderen Mittel ausschöpfen und dokumentieren sollten. Nur so lässt sich im Streitfall eine rechtssichere Grundlage schaffen, um eine Druckkündigung als ultima ratio rechtfertigen zu können.