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11. April 2024

Aktuelles zu Vergütungssystemen bei Banken

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Immer wieder kollidieren Incentivierungsvorstellungen von Arbeitgebern mit der Rechtsprechung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG). In der Entscheidung vom 15. November 2023 (10 AZR 288/22)1 ging es um eine Klausel in einer Betriebsvereinbarung (BV), wonach Mitarbeiter2, die auf Grund einer verhaltensbedingten Kündigung oder einer Eigenkündigung ausscheiden, keinen - auch keinen zeitanteiligen – Anspruch auf einen Bonus haben sollten. In der Entscheidung beschäftigt sich das BAG mit einer Vielzahl wichtiger Aspekte im Zusammenhang mit Bonuszahlungen:

Zunächst stellt das BAG klar, dass die Formulierung im Arbeitsvertrag „Du erhältst einen Bonus nach Maßgabe der BV…“ auch einen arbeitsvertraglichen Anspruch begründen kann, nicht nur einen Anspruch aus der BV.

Der Arbeitgeber konnte sich nicht auf das im Arbeitsvertrag eingeräumte freie Ermessen berufen. Die Inanspruchnahme freien Ermessens bei der Bonusgewährung wäre eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild des § 315 Abs. 1 BGB, die wegen des fehlenden Korrektivs der vollen gerichtlichen Kontrolle der Leistungsbestimmung eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 BGB darstellten würde und deshalb unwirksam wäre. Auch der Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag half dem Arbeitgeber nicht. Die Klausel differenziere nicht nach dem Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche und ließ daher die Auslegung zu, dass auch Individualabreden von ihr erfasst sein sollten. Da solche Abreden aber immer Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) haben, stelle die Klausel eine unangemessene Benachteiligung dar.

Die Stichtagsregelung in der BV ist nach der Überzeugung des BAG unwirksam. Zwar unterlägen Betriebsvereinbarungen nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht der AGB-Kontrolle. Doch seien die Betriebsparteien beim Abschluss ihrer Vereinbarungen nach § 75 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BetrVG an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden und damit auch verpflichtet, die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte zu wahren. Die von den Betriebsparteien zu wahrenden Grundsätze des Rechts erstreckten sich auf die geltende Rechtsordnung, die das Arbeitsverhältnis gestaltet und auf dieses einwirkt. Dazu zähle auch § 611a Abs. 2 BGB, wonach der Arbeitgeber zur Erbringung der vereinbarten Gegenleistung verpflichtet sei, soweit der vorleistungsverpflichtete Arbeitnehmer die ihm obliegende Arbeitsleistung erbracht habe. Die Auszahlung verdienten Entgelts sei daher nicht davon abhängig, dass weitere Zwecke erfüllt werden. Diese gesetzliche Wertung binde auch die Betriebsparteien.

Diesen Anforderungen genüge die Stichtagsregelung nicht. Sie entziehe den betroffenen Arbeitnehmern Vergütung, die durch Arbeitsleistung bereits verdient wurde, und erschwere dadurch das Kündigungsrecht in unverhältnismäßiger Weise. Es seien zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Arbeitsleistung für die Arbeitgeberin nur werthaltig sei, wenn sie im gesamten Bezugszeitraum erbracht werde.

Diese Feststellungen zur Unzulässigkeit von Stichtagsregelungen in Betriebsvereinbarungen hat das BAG bereits im Jahre 2011 in mehreren Entscheidungen betont. Insofern ist es erstaunlich, dass sich dennoch in einer BV aus dem Jahre 2019 eine – für den arbeitsrechtlichen Experten offensichtlich – unwirksame Stichtagsregelung findet.

 

Bad Leaver Regelungen im Rahmen regulierter Vergütung

Über das Spannungsfeld von Arbeitsrecht und Aufsichtsrecht hat sich der Verfasser gemeinsam mit einer Kollegin schon im Jahre 2015 in einem Aufsatz in der NZA3 Gedanken gemacht.

Dabei haben wir uns als erstes mit der Frage beschäftigt, ob die Rechtsprechung des 1. und des 10. Senats des BAG zu Stichtagsregelungen auf aufgeschobene Vergütungsbestandteile im Rahmen der Institutsvergütungsverordnung (IVV) anzuwenden sei. Diese Frage ist immer noch nicht entschieden, obwohl diese Fälle häufig vorkommen. Einen entsprechenden Fall hat DLA Piper im März diesen Jahres vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht vertreten. Es ging um etliche noch nicht höchstrichterlich entschiedene Themen:

  • Was ist bei aufgeschobenen Vergütungsbestandteilen der Bemessungs- oder Bezugszeitraum? Ist es das Bonusjahr oder das Bonusjahr zuzüglich des Zurückbehaltungszeitraums?
  • Falls letzteres, was heißt das für die Wirksamkeit von Stichtagsregelungen?
  • Wenn der Arbeitsvertrag auf den Bonusplan der Muttergesellschaft verweist, findet dann überhaupt noch eine AGB-Kontrolle statt? Oder gilt vielmehr lediglich § 319 BGB? Dann wäre die Regelung nur auf offensichtliche Unbilligkeit zu überprüfen.
  • Wie ist eine Regelung im Bonusplan zu beurteilen, wonach eine Anpassung der Planregelungen möglich ist, um den regulatorischen Anforderungen der Aufsicht gerecht zu werden.

Sämtliche Fragen wurden vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht kontrovers diskutiert, aber nicht entschieden. Die Parteien haben sich verglichen.

 

Stichtagsregelungen und Retention Boni

Wie gezeigt geht das BAG davon aus, dass Bad-Leaver-Klauseln jedenfalls dann unzulässig sind, wenn die Sonderzahlung – zumindest auch – Entgelt für geleistete Arbeit ist. Wie aber sieht es mit Retention Boni aus?

Retention Boni dienen der Bindung wichtiger Mitarbeiter im Rahmen von Umstrukturierungen, bei Abwicklungen, im Zusammenhang mit einem Kontrollwechsel oder zur Sicherstellung des Abschlusses von Großprojekten. Üblicherweise wird der Zielgruppe ein größerer Betrag angeboten, häufig auch in zwei Raten, wenn sie bis zu den jeweiligen Stichtagen im Unternehmen verbleiben. Was aber passiert, wenn diese Mitarbeiter vorher das Unternehmen verlassen? Nach dem Wortlaut der jeweiligen Klauseln besteht dann kein Anspruch, auch nicht pro rata temporis. Was würde der 10. Senat dazu sagen?
  • Die Höhe der Retention-Boni liegt häufig in einer Größenordnung von drei bis sechs Monatsgehältern und erreicht damit leicht die Schwelle von 25%. So würde nach BAG unwiderleglich vermutet, dass damit auch die Arbeitsleistung honoriert werden soll, so dass Stichtagsregelungen unwirksam wären.
  • Wir vertreten die Auffassung, aus den Besonderheiten des Retention-Bonus lasse sich argumentieren, dass diese allgemeinen Grundsätze hier nicht gelten können, so dass von einer reinen Treueprämie auszugehen ist. Damit wären am gegebenen Sachverhalt orientierte Stichtagsregelungen zulässig.
  • Gerade ausländische Investoren und Private Equity Häuser neigen dazu, zusätzlich zum Stichtag eine Performancebedingung mit aufzunehmen. Die Fälligkeit des Retention-Bonus soll voraussetzen, dass der Berechtigte das Projekt engagiert unterstützt hat.
  • Wir raten regelmäßig davon ab, solche zusätzlichen Performancebedingungen aufzunehmen, um zu vermeiden, dass der Bonus als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung deklariert wird, so dass eine Stichtagsregelung unwirksam wäre. Der vorzeigt Ausscheidende hätte Anspruch auf den Bonus.
  • Wenn die Stichtagsregelung unwirksam ist und konsequenterweise eine pro rata Regelung fehlt, könnte man sogar nicht ausschließen, dass je nach den Umständen des Einzelfalles ein Anspruch auf den ganzen Bonus besteht.
  • Besonderheiten gibt es wie so häufig im Sektor Financial Services. Nach § 5 Abs. 7 IVV sind Halteprämien nur ausnahmsweise zulässig, und auch nur dann, wenn das Institut in der Lage ist, sein besonderes berechtigtes Interesse daran nachzuweisen.
  • Nach No. 147 EBA_Guidelines müssen Halteprämien außerdem eine Performance-Komponente enthalten.4

Banken stehen daher vor einem Dilemma: Wenn sie eine Performancekomponente aufnehmen, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, laufen sie in das Risiko, dass vorzeitig Ausscheidende den Bonus erfolgreich einklagen, weil die Stichtagsregelung als unwirksam erachtet wird.


1Lesen Sie hier mehr.
2Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten erfasst.
3Löw/Glück, Vergütung bei Banken im Spannungsfeld von Arbeits- und Aufsichtsrecht, NZA 2015, 137ff.
4EBA Guideline für solide Vergütungspolitik