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11. November 2025

Kündigungen unwirksam – Folgen unterbliebener sowie fehlerhafter Massenentlassungsanzeigen

Mit zwei Vorabentscheidungsersuchen hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Gelegenheit gegeben, die Folgen unterbliebener sowie fehlerhafter Massenentlassungsanzeigen zu klären. Eine erhoffte Einschränkung der strengen Folgen einer fehlerhaften oder unterlassenen Anzeige erfolgte mit den Urteilen vom 30. Oktober 2025 (Az. C-134/24 / Az. C-402/24) aber nicht– damit bleibt es grundsätzlich bei der Unwirksamkeit ausgesprochener Kündigung.

 

Hintergrund

Bei Massenentlassungen sind nach den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes ein etwaiger Betriebsrat sowie im Rahmen einer Anzeige die Agentur für Arbeit zu beteiligen. Nach der Anzeige gilt eine Entlassungssperre – vor Ablauf von mindestens einem Monat nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit werden die Entlassungen nicht wirksam. Die entsprechenden Regelungen gehen zurück auf die Richtlinie 98/59/EG des Europäischen Rats. Werden Massenentlassungen nicht oder fehlerhaft bei der Agentur für Arbeit angezeigt, führt dies nach der ständigen Rechtsprechung des BAG regelmäßig zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung. Das Potential für Fehler in der Anzeige ist hoch. Kleine Ungereimtheiten können drastische Konsequenzen haben. Die Rechtsprechung stand daher schon lange in der Kritik, zumal weder das Kündigungsschutzgesetz noch die Richtlinie eine entsprechende Rechtsfolge ausdrücklich vorsehen. Nicht nur ein, sondern gleich zwei Senate am BAG schienen sich diese Kritik unlängst sehr zu Herzen genommen zu haben. Ein Parforceritt durch das weitere Geschehen:

 

Entscheidung zu C-134/24

In einem ersten Fall hatte ein Insolvenzverwalter allen verbliebenen Arbeitnehmern einer Handelsgesellschaft mbH gekündigt, ohne zuvor ein Anzeigeverfahren durchzuführen. Der für das Verfahren zuständige sechste Senat des BAG stellte insofern in Aussicht, von der bisherigen Rechtsprechung zur Rechtsfolge von Fehlern im Anzeigeverfahren abweichen zu wollen. Da hierin auch eine Abweichung zur Rechtsprechung des zweiten Senats gelegen hätte, fragte der sechste Senat an, ob der zweite Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte (Beschluss vom 14. Dezember 2023 – 6 AZR 157/22). Der zweite Senat wiederum sah sich hierdurch dazu veranlasst, den Fall gleich selbst dem EuGH vorzulegen (Beschluss vom 1. Februar 2024 – 2 AS 22/23) und zu erfragen, ob die Kündigungen vor Ablauf der Entlassungssperre wirksam werden könnten. Mit weiteren Fragen zielte der Senat – losgelöst vom Fall – auf eine mögliche Alternativlösung ab. Der EuGH sollte sich hiernach insbesondere auch dazu verhalten, ob eine Anzeige nachgeholt werden könne und die Kündigungen insofern heilbar seien.

In seinem Urteil stellte der EuGH klar, dass die Bestimmungen der Richtlinie die Wirksamkeit der Kündigungen erst nach Ablauf der Entlassungssperre zuließen. Der Gerichtshof stellte hierfür entscheidend darauf ab, dass die zuständige Behörde den entsprechenden Zeitraum nutzen können müsse, um nach Lösungen für die aufgeworfenen Probleme zu suchen. Die weiteren Fragen tat der EuGH als unzulässig ab. Mangels Zusammenhangs zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits seien sie hypothetisch und nicht zu beantworten.

 

Entscheidung zu C-402/24

Noch bevor der EuGH in der obigen Angelegenheit entschied, legte der sechste Senat nach. Ohne weitere Umwege über den zweiten Senat ersuchte er den EuGH um Beantwortung der Frage, ob der Zweck der Massenentlassungsanzeige erfüllt und eine Sanktion damit entbehrlich sei, wenn die zuständige Behörde eine objektiv fehlerhafte Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet und sich als ausreichend informiert betrachtet. Im zugrundeliegenden Fall hatte es an einer abschließenden Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung sowie einer alternativ möglichen Darlegung des Stands der Beratungen gefehlt.

Der EuGH stellte klar, dass der Zweck der Anzeige trotz fehlender Beanstandung nicht als erreicht angesehen werden könne. Auch insofern stellte der Gerichtshof auf die Aufgabe der zuständigen Behörde ab, nach Lösungen für die aufgeworfenen Probleme zu suchen. Im Fall einer fehlerhaften oder unvollständigen Anzeige sei sie hieran gehindert. Dass die Behörde im Zuge der Amtsermittlung etwaige Fehler heilen könne, sei unerheblich. In diesem Fall könne die Behörde daran gehindert sein, den vollen Zeitraum zur Suche nach Lösungen zu nutzen.

 

Praxishinweis

Es bleibt wie gehabt – Massenentlassungsanzeigen sind mit größter Sorgfalt vorzubereiten. Die Entscheidungen des EuGH stellen allenfalls klar, dass es auch auf einen guten Willen der Agentur für Arbeit nicht ankommt. Zur Vorbereitung zählt auch die Beteiligung eines etwaigen Betriebsrats.