
4. Juni 2024 • Lesedauer 5 Minuten
Suche nach einem „Digital Native“: Entschädigung wegen Altersdiskriminierung im Bewerbungsverfahren
Auch eine Stellenanzeige kann für Arbeitgeber zum Verhängnis werden und Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nach sich ziehen. Das Arbeitsgericht (ArbG) Heilbronn entschied kürzlich, dass die Suche nach einem „Digital Native“ eine Altersdiskriminierung indiziere (Urteil vom 18. Januar 2024, Az. 8 Ca 191/23). Der abgelehnten Bewerber machte erfolgreich einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG geltend.
Rechtliche Grundlagen
Ziel des AGG ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Zu diesem Zweck ist es u.a. verboten, Beschäftigte aufgrund des Alters zu benachteiligen (§ 1 AGG). Auch Bewerberinnen und Bewerber gelten als Beschäftigte im Sinne des AGG.
Werden Personen im Bewerbungsverfahren aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe benachteiligt, kommen ein Anspruch auf Schadensersatz für Vermögensschäden (§ 15 Abs. 1 AGG) oder ein Entschädigungsanspruch für sonstige Schäden (§ 15 Abs. 2 AGG) in Betracht. Das AGG stipuliert eine Beweislasterleichterung (§ 22 AGG): trägt eine Person Indizien vor (und beweist diese im Bestreitensfall), die einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vermuten lassen, so muss der Arbeitgeber darlegen, dass kein Verstoß vorliegt. Der Arbeitgeber muss hierfür Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Es genügt also nicht der Nachweis, dass es nicht-diskriminierende Gründe gibt, die die Differenzierung hätten rechtfertigen können, sondern nur der Nachweis, dass ausschließlich diese Kriterien im konkreten Fall verwendet wurden. Der Arbeitgeber kann die Vermutung etwa dadurch widerlegen, dass er substanziiert dazu vorträgt und im Bestreitensfall beweist, dass er nach einem bestimmten Auswahlverfahren vorgegangen ist, welches eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt.
Der Fall
Der Kläger, ein ausgebildeter Diplomwirtschaftsjurist mit mehrjähriger Führungsverantwortung, geboren 1972 und mit Wohnsitz in Berlin, bewarb sich bei der Beklagten, einem international agierenden Handelsunternehmen, im Bereich Sportartikel auf eine Sachbearbeiterstelle in Heilbronn als „Manager Corporate Communication.“ In der Stellenanzeige der Beklagten befand sich folgende streitentscheidende Passage: „Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause.“
Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Absage, woraufhin dieser einen Entschädigungsanspruch in Höhe von EUR 37.500 vor dem ArbG Heilbronn geltend machte.
Die Entscheidung
Das ArbG Heilbronn gab dem Kläger im Grunde Recht, hielt jedoch eine geringere Entschädigung in Höhe von EUR 7.500 (1,5 Monatsgehälter) für angemessen.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass eine Altersdiskriminierung indiziert sei. Der Begriff „Digital Native“ stelle nach seinem objektiven Inhalt und typischen Sinn unter Einbeziehung des Duden-Eintrags eine Bezeichnung für Personen dar, die mit digitalen Medien aufgewachsen seien. Dadurch weise der Begriff einen Generationenbezug auf. Mit der Suche nach einem „Digital Native“ verdeutliche die Beklagte nicht die Suche nach bestimmten Fähigkeiten, sondern die Einengung des Bewerberkreises auf Menschen einer jüngeren Generation.
Die Beklagte konnte die vermutete Benachteiligung aus Sicht des Gerichts nicht ausräumen. Der Kläger sei weder unqualifiziert, noch seien seine Gehaltsvorstellungen übermäßig hoch gewesen. Auch konnte die Beklagte nicht substanziiert dazu vortragen, dass sie nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen sei, welches eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt.
Nach Ansicht des Gerichts habe der Kläger durch die Ablehnung eine ungünstigere Behandlung erfahren als der eingestellte Bewerber.
Auch fehlten dem Gericht hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Bewerbung einzig einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG bezweckte und damit rechtsmissbräuchlich sei. Insbesondere genügten die räumliche Distanz zwischen dem Familienwohnsitz des Klägers (Berlin) und dem Arbeitsort bei der Beklagten (Heilbronn) sowie eine etwaige Überqualifizierung des Klägers nicht für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Bewerbung.
Praxishinweis
Die Entscheidung zeigt auf, dass bei der Erstellung einer Stellenanzeige sowie bei der Dokumentation des Bewerbungsprozesses Sorgfalt geboten ist. Insbesondere angesichts der Beweiserleichterung, wonach die klagende Partei lediglich Indizien Beweisen muss, die eine Benachteiligung vermuten lassen, sind die Anforderungen an die gewissenhafte Dokumentation des Auswahlverfahrens hoch. Die Entscheidungsgründe sind im Hinblick auf die Möglichkeiten des Arbeitgebers, diese Vermutung zu widerlegen, aufschlussreich. Für den Nachweis, dass ausschließlich nicht-diskriminierende Gründe im Auswahlverfahren angewandt wurden, nennt das Gericht die folgenden Beispiele:
- Offenlegung der Dokumentation des Ablaufs der benachteiligenden Entscheidung.
- Berücksichtigung älterer Bewerber trotz an „junge“ gerichteter Ausschreibung im selben Besetzungsverfahren.
- Berücksichtigung anderer Personen mit demselben Merkmal für die Teilnahme an der zweiten Stufe eines Auswahlverfahrens.
- Darlegung einer fehlenden formalen Qualifikation oder Anforderung, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/des Berufs an sich ist; in einem solchen Fall besteht in der Regel kein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in 1 AGG genannten Grund.
- Vorgehen nach einen bestimmten formellen Auswahlverfahren, welches eine Benachteiligung wegen eines in 1 AGG genannten Grundes ausschließt. Dies kann zum Beispiel anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt daraufhin sichtet, ob die Personen eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und er all die Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheidet, bei denen dies nicht der Fall ist. Der Arbeitgeber muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er ein solches Verfahren konsequent praktiziert und zu Ende geführt hat.





