
19. Dezember 2025
Das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb
Gewerkschaften fordern angesichts vermehrter Remote-Arbeit von Arbeitgebern immer öfter neben dem anerkannten physischen Zutrittsrecht auch ein digitales Zugangsrecht zum Betrieb. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner jüngsten Entscheidung entsprechende Forderungen der Gewerkschaft zurückgewiesen, aber zu erkennen gegeben, dass ein digitales Zugangsrecht im Einzelfall durchaus bestehen kann (Urteil vom 28. Januar 2025, Az. 1 AZR 33/24).
Der Fall
Eine Gewerkschaft verlangte digitalen Zugang zum Betrieb, da die ca. 5.400 Mitarbeiter etwa 40% ihrer Arbeitszeit mobil außerhalb des Betriebs tätig waren. Die Gewerkschaft forderte von dem Arbeitgeber die fortlaufende Mitteilung der dienstlichen E-Mail-Adressen aller Mitarbeiter (also auch von Neueinstellungen), die Duldung von maximal 104 E-Mails pro Jahr (pro Mitarbeiter) mit einer bestimmten Größe, die Duldung der Nutzung des konzernweiten Kommunikationsnetzwerks durch die Gewerkschaft wie durch einen Mitarbeiter („internal user“) sowie die dauerhafte Verlinkung der Gewerkschafts-Website auf der Startseite des konzernweiten Intranets.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht (LAG) die Berufung der Gewerkschaft zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Gewerkschaft ihre Begehren weiter. Die Revision blieb ohne Erfolg.
Arbeitgeber nicht zur fortlaufenden Herausgabe betrieblicher E-Mail-Adressen verpflichtet
Das BAG stellte zunächst klar, dass der Arbeitgeber nicht zur fortlaufenden Auskunft über die dienstlichen E-Mail-Adressen aller Mitarbeiter sowie zur Duldung einer bestimmten Anzahl von E-Mails pro Jahr mit einer bestimmten Größe verpflichtet sei. Zwar sei die Forderung der Gewerkschaft grundsätzlich von der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft gedeckt. Dem stünden aber einerseits überwiegende Interessen des Arbeitgebers (Eigentumsgarantie und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit) entgegen, da die fortlaufende Auskunft – auch bei Neueinstellungen – einen erheblichen organisatorischen Aufwand mit sich bringe. Zudem erhalte die Gewerkschaft auf diese Weise Informationen über betriebliche Belange, ohne dass dies für die Wahrung der Koalitionsfreiheit notwendig wäre. Ohnehin sei eine unzumutbare Belastung des Arbeitgebers schon deswegen nicht auszuschließen, weil die Gewerkschaft die insgesamt 104 E-Mails pro Jahr auch gebündelt versenden und damit die Arbeitsorganisation erheblich beeinflussen könnte. Andererseits obläge es den Mitarbeitern selbst, darüber zu entscheiden, ob sie der Gewerkschaft ihre betrieblichen E-Mail-Adressen zur Verfügung stellen wollen, um gewerkschaftliche Werbung und Informationen zu erhalten. Hintergrund ist, dass sich die betrieblichen E-Mail-Adressen aus Vor- und Nachnamen der Mitarbeiter zusammensetzten und somit personenbezogene Daten enthielten.
Keine Nutzung des konzernweiten Kommunikationsnetzwerkes wie ein Mitarbeiter
Weiter entschied das BAG, die Gewerkschaft habe kein Recht, das konzernweite Kommunikationsnetzwerk wie ein Mitarbeiter – d.h. als „internal user“– zu nutzen. Damit einher ginge ein uneingeschränkter Zugriff auf alle (öffentlichen) Inhalte des Netzwerks, sodass die Gewerkschaft den arbeitsbezogenen Informationsaustausch sowie arbeitsbezogene Unterlagen einsehen und so konzerninterne Informationen erhalten könnte. Außerdem seien durch die konzernweite Nutzung auch Mitarbeiter betroffen, für welche die Gewerkschaft schon nicht zuständig sei.
Kein Link auf die Gewerkschafts-Website auf der Startseite des Intranets
Auch ein Anspruch auf Verlinkung der Gewerkschafts-Website auf der Startseite des konzernweiten Intranets bestehe nicht, so das BAG. Zwar könne ein Anspruch auf Aufnahme eines Links an einer anderen Stelle des Intranets bestehen. Dies gelte aber nicht für die Startseite, da der Arbeitgeber dadurch den Eindruck vermittle, es handle sich um ein aus seiner Sicht bedeutsames Anliegen. Weil dies dem Arbeitgeber aber als sozialer Gegenspieler der Gewerkschaft nicht zuzumuten sei, habe dieser darüber zu entscheiden, an welcher – für die Mitarbeiter ohne Weiteres erreich- und erkennbaren – Stelle der Link platziert werden soll. Zudem stellte das Gericht klar, dass nicht auf eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG abgestellt werden könne, da der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet habe, einen solchen Anspruch in das BetrVG aufzunehmen.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG erweist sich als Einzelfallentscheidung in Form einer gerichtlichen Rechtsfortbildung, da der Gesetzgeber bei der Frage des digitalen Zugangsrechts der Gewerkschaft bisher untätig geblieben ist. Ob die Bundesregierung hier tätig werden wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin kann der Entscheidung entnommen werden, dass ein digitaler Zugang zum Betrieb durch die Gewerkschaft durchaus gefordert werden kann, aber für die Reichweite dieses digitalen Zugangs die Abwägung der Interessen – auch der Mitarbeiter – im Einzelfall entscheidend ist. Dies gilt insbesondere für die Nutzung interner Kommunikationsnetzwerke sowie von Verlinkungen auf Gewerkschafts-Webseiten im Intranet. Denkbar ist, dass Betriebsräte und Gewerkschaften künftig entsprechende Sozialpartnervereinbarungen fordern, um die Ansprache von Mitarbeitern auch im Home Office zu ermöglichen.


