
29. Mai 2024 • Lesedauer 4 Minuten
Auflösung des Betriebsrats
Kumulative Einzelverstöße des Betriebsrats können eine grobe Pflichtverletzung darstellenDie Auflösung des Betriebsrats unterliegt strengen Anforderungen und verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen Verstoß, der objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist. Nach dem Arbeitsgericht Elmshorn (AG Elmshorn) kann die Auflösung wegen einer Vielzahl von Pflichtverletzungen aufgrund ihrer Gesamtschau erforderlich sein (AG Elmshorn, Beschluss vom 4. Oktober 2023, Az. 3 BV 31 e/23).
Der Fall
Das Verhältnis zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin sowie zahlreichen Beschäftigten war aufgrund fortlaufender Ereignisse stark angespannt. Kern des Konfliktes war, dass ein Großteil der Betriebsratsarbeit und der pauschal ganztägig angekündigten Freistellungen der Betriebsratsmitglieder von den übrigen Betriebsparteien als unnötig und teilweise illegitim empfunden wurden. Insbesondere die Dienstplanung kontrollierte der Betriebsrat sehr zeitaufwendig und kleinteilig. Hierfür ließ er die digital abrufbaren Dienstpläne ausdrucken, in Ordner für die jeweiligen Beschäftigten einsortieren und akribisch nach vermuteten Verstößen – vor allem Arbeitszeitverstöße – durchsuchen, die er sodann dem Amt für Arbeitsschutz meldete. Die insgesamt sieben Betriebsratsmitglieder zeigten der Arbeitgeberin hierfür einen regelmäßigen Stundenumfang an, der mehr als drei Vollzeitarbeitsstellen entsprach. Es folgten diverse gerichtliche Beschlussfassungen, wechselseitige Anschuldigungen und Strafanzeigen. Zuletzt gab der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende im Rahmen eines Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz eine falsche Versicherung an Eides Statt ab; diese bezog sich auf die angeblich fehlende Vorlage eines Dienstplans. Der Betriebsrat traf daraufhin trotz Kenntnis dieses inhaltlichen Fehlers einen Beschluss, der die inhaltliche Fehlerhaftigkeit der eidesstattlichen Versicherung wiederholte. Dies und weitere Vorfälle veranlasste ein Quorum aus über 50 Arbeitnehmenden sowie die Arbeitgeberin, die Auflösung des Betriebsrats zu beantragen.
Die Entscheidung
Das Gericht gab dem Antrag statt und löste den Betriebsrat auf. Die gerichtliche Auflösung des Betriebsrats sei eine besonders einschneidende Sanktion und greife nur dann, wenn die Amtsausübung des Betriebsrats unter Berücksichtigung aller Umstände untragbar erscheint. Hierfür brauche es eine grobe Pflichtverletzung des Betriebsrats als Organ (§ 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BetrVG). Eine Pflichtverletzung einzelner oder sogar aller Betriebsratsmitglieder reiche hingegen nicht aus, sofern diese nicht auf Grundlage eines gemeinsamen Beschlusses erfolgte. Nach Ansicht des Gerichts könne sich die Untragbarkeit der Amtsausübung des Betriebsrats aus einer Gesamtschau der situativen Verhältnisse ergeben. Ein Verschulden des Organs sei nicht erforderlich. Das Gericht betont zudem, dass es für die Unzumutbarkeit der Amtsausübung auf eine zukunftsgerichtete Betrachtungsweise ankomme.
Gemessen an diesen Prämissen befasste sich das Gericht eingehend mit den einzelnen Pflichtverletzungen. Es folgerte, dass diese die weitere Amtsausübung unzumutbar machten und einen erheblichen Vertrauensverlust erzeugten:
- Die Abgabe einer inhaltlich unwahren eidesstattlichen Versicherung stelle einen groben Verstoß gegen die zivilprozessuale Wahrheitspflicht und gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit dar (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Der Betriebsrat habe sich diese durch die Beschlussfassung zu eigen gemacht.
- Der erhebliche und objektiv nicht erforderliche Umfang der Betriebsratsarbeit liege weit über den gesetzlich geregelten pauschalen Freistellungen (§ 38 BetrVG) und sei nicht hinreichend begründet worden. Nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit seien die Dienstpläne zunächst stichprobenartig zu kontrollieren und nur bei Auffälligkeiten tiefergehend zu untersuchen. Die vom Betriebsrat vorgenommene „Suche nach Fehlern“ sei unzulässig.
- Über die Freistellungen der Betriebsratsmitglieder sei unzureichend informiert worden. Diese umfassten pauschal den gesamten Kalendertag oder eine Zeitspanne von 6 bis 24 Uhr, was es der Arbeitgeberin unmöglich gemacht habe, die Mitglieder zu (kurzen) Schichten vor oder nach der Betriebsratsarbeit einzuplanen.
- Der Betriebsrat habe erheblich gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen, indem er Gesundheitsdaten der Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung mitteilte sowie die Dienstpläne samt weiterer Unterlagen, darunter Krankheitsmitteilungen und Urlaubsanträge, ausdruckte und somit faktisch eine doppelte Personalakte samt Arbeitszeiterfassung angelegt habe (§ 23 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz).
- Außerdem rügte das Gericht, dass der Betriebsrat den Geschäftsführer von einer Betriebsversammlung ausschloss, indem er ihn bat, an dieser nicht teilzunehmen und der Geschäftsführer dieser Bitte nachkam (entgegen § 43 Abs. 2 BetrVG).
- Zuletzt mahnte das Gericht die fehlende Absprache zur Durchführung von Sprechstunden an (§ 39 Abs. 1 S. 2 BetrVG).
Praxishinweis
Die Entscheidung ist im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung konsequent. Sie bestätigt, dass nicht nur eine einzelne besonders grobe Pflichtverletzung, sondern auch mehrere leichtere Verstöße die Auflösung begründen können, sofern eine weitere Amtsausübung zum Wohle der Beschäftigten und des Betriebs kaum realisierbar ist.





