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7. Oktober 2024Lesedauer 3 Minuten

Präventionsverfahren auch bei Probezeitkündigung notwendig

In der Entscheidung vom 12. September 2024 urteilte das Landesarbeitsgericht Köln (LAG), dass ein Präventionsverfahren nicht im Rahmen der Wartezeit entfällt und mithin auch für die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung notwendig ist (LAG Köln (6. Kammer), Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24).

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung. Kündigungsschutzklage erhoben hatte ein schwerbehinderter Arbeitnehmer. Er monierte, vor Ausspruch der Kündigung sei kein für die Wirksamkeit der Kündigung notwendiges Präventionsverfahren (§ 167 Abs. 1 SGB IX) durchgeführt worden.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 167 Abs. 1 SGB IX begründet eine besondere Förderpflicht im Hinblick auf schwerbehinderte Arbeitnehmer. Die Vorschrift regelt, dass Arbeitgeber ein Präventionsverfahren durchführen müssen, wenn personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis auftreten. Ihre Verletzung begründet die Vermutung einer Diskriminierung aufgrund der Behinderung (§ 164 Abs.  2 SGB IX, § 22 AGG). Die vermutete Diskriminierung kann vom Arbeitgeber widerlegt werden. Kündigungen, die gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen, sind rechtsunwirksam (§ 134 BGB). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied zur Vorgängervorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX (BAG v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14), dass die Verpflichtung zur Durchführung des Präventionsverfahrens auf den Zeitraum nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit (§ 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz) beschränkt sei.

 

Entscheidung des LAG Köln

Das Landesarbeitsgericht Köln erachtete die Probezeitkündigung für wirksam. Allerdings befand das LAG Köln – anders als das BAG – dass auch während der sechsmonatigen Wartezeit die Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens bestehe. Die Nichtdurchführung könne auch in diesem Fall die Vermutung der Diskriminierung begründen. Gleichzeitig erkannte das Gericht an, dass die Durchführung von Präventionsverfahren innerhalb der ersten sechs Monate aufgrund des engen Zeitfensters strukturelle Probleme aufwerfe. Den Arbeitgeber treffe daher im Hinblick auf die Widerlegung der vermuteten Diskriminierung ein abgesenktes Maß der Darlegungs- und Beweislast, das sich an allgemeinen Besonderheiten des Präventionsverfahrens und Facetten des konkreten Einzelfalls orientiert, um die Probezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch auszuschließen. In dem zu entscheidenden Fall kam das Gericht zu der Auffassung, dass unstreitig vorliegende Tatsachen gegen die Annahme sprachen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung (zumindest auch) wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war. Die Beklagte habe insbesondere die Schwerbehinderung schon bei Einstellung des Klägers gekannt, was gegen eine Voreingenommenheit gegen Schwerbehinderte spreche. Vor Ausspruch der Kündigung habe die Beklagte sich um anderweitige Einsatzmöglichkeiten des Klägers bemüht. Das Verhalten des Klägers habe eine Kündigung während der sechsmonatigen Wartezeit gerechtfertigt. Soweit das Verhalten in der konkreten Schwerbehinderung des Klägers begründet war, so waren der Beklagten die näheren Hintergründe der Schwerbehinderung nicht bekannt. Wegen ihrer Unkenntnis hatte die Beklagte keine Veranlassung, das bei dem Kläger bemängelte Verhalten auf dessen Schwerbehinderung zurückzuführen.

Gegen die Entscheidung kann Revision vor dem BAG eingelegt werden.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung des LAG rückt die Notwendigkeit eines Präventionsverfahrens zur möglichst dauerhaften Beschäftigung eines Schwerbehinderten in ein neues Licht. Nachdem das BAG für die Vorgängervorschrift entschieden hatte, ein nicht durchgeführtes Präventionsverfahren sei innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gerade nicht geeignet, eine Diskriminierung zu vermuten, stellt sich das LAG auf einen anderen Standpunkt und lässt eine solche Vermutung zu. Die vom BAG angenommene zeitliche Beschränkung des Präventionsverfahrens ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Norm selbst noch aus der Systematik des Gesetzes. Aus praktischer Notwendigkeit schwächt das LAG die Rechtsfolge der vermuteten Diskriminierung durch die Beweiserleichterung für Arbeitgeber im Wege einer Einzelfallprüfung ab. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG dieser Linie zur neuen (wortgleichen) Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX folgt.