
9. Juli 2025 • Lesedauer 3 Minuten
Kündigung nach Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Verstoß gegen das Maßregelungsverbot?
Nach einer Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 28. März 2025 (Az. 10 SLa 916/24) stellt nicht jede Kündigung nach Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot dar. Ein solcher Verstoß kann aber anzunehmen sein, wenn mit der Kündigung gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll.
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem 1. August 2023 bei der Beklagten als Fahrer tätig. Am 16. Januar 2024 erlitt der Kläger bei einer Sperrmüllabfuhr einen Arbeitsunfall, als er bei Eisglätte ausrutschte. Daraufhin reichte der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24. Januar 2024 ein, nach welcher er für voraussichtlich eine Woche arbeitsunfähig sein würde.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2024 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis noch innerhalb der sechsmonatigen Probezeit. Zeitgleich kündigte die Beklagte auch die Arbeitsverhältnisse zweier weiterer Arbeitnehmer, welche die Beklagte neben dem Kläger über eine spanische Vermittlungsfirme als Berufskraftfahrer angeworben hatte.
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage des Klägers ab. Auch im Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht blieb der Kläger erfolglos.
Grenzen des Maßregelungsverbotes
In beiden Instanzen hatte der Kläger einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB geltend gemacht. Hiernach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
Einen solchen Verstoß sah das Hessische Landesarbeitsgerichts nicht als gegeben an. Zunächst stellte es klar, dass das Fernbleiben von der Arbeit unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durchaus eine Ausübung eines Rechts im Sinne der Norm darstelle. Der notwendige Kausalzusammenhang zwischen der Kündigung als benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung habe hier allerdings nicht vorgelegen.
Für diesen Kausalzusammenhang kommt es nach der Begründung des Gerichts auf das wesentliche Motiv der Maßnahme an. Zwar sei der Arbeitnehmer insofern darlegungs- und beweispflichtig. Ihm könne bei einem engen zeitlichen Zusammenhang jedoch ein Anscheinsbeweis zugutekommen, sodass sich der jeweilige Arbeitgeber zu seinen Motiven erklären müsse.
Zwar habe eine zeitliche Koinzidenz hier vorgelegen. Die Beklagte habe aber hinreichend vorgetragen, dass sie mit der Arbeit des Klägers nicht zufrieden gewesen sei. Das Gericht stellte außerdem darauf ab, dass die Beklagte von den vier ursprünglich angeworbenen Berufskraftfahrern nur einen einzigen fortbeschäftigte.
Bedeutung des Arbeitsunfalls
Im Übrigen hielt das Gericht die Kündigung auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben für unwirksam. Der Kläger hatte vorgetragen, die Beklagte habe den Arbeitsunfall mitverursacht und die daraufhin ausgesprochene Kündigung stelle ein widersprüchliches Verhalten dar.
Nach Auffassung des Gerichts kann eine Kündigung zwar durchaus treuwidrig sein, wenn den Arbeitgeber ein wesentliches Mitverschulden an dem Arbeitsunfall trifft. Im vorliegenden Fall könne der Beklagten jedoch allenfalls ein geringes Mitverschulden angelastet werden. Beim Ausrutschen bei winterlichen Verhältnissen verwirkliche sich in erster Linie das allgemeine Lebensrisiko.
Praxishinweis
Kündigungen sind auch während der Probezeit nicht völlig schrankenlos möglich. Die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allein schützt den Arbeitnehmer aber nicht vor dem Ausspruch einer Kündigung. Soll eine solche im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen werden, sind Arbeitgeber indes gut beraten, die Kündigung sachlich – und ohne Verweis allein auf die Arbeitsunfähigkeit – begründen zu können.
Auch sofern das Gericht zur möglichen Treuwidrigkeit einer Kündigung nach Arbeitsunfall Stellung nimmt, gibt die Entscheidung Aufschluss über die Grenzen des Kündigungsschutzes außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes. Arbeitgeber sollten nicht vergessen, dass Arbeitnehmern in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses durchaus ein gewisser Schutz zusteht – wenn auch nur nach dem Maßregelungsverbot oder den Grundsätzen von Treu und Glauben.





