
23. Oktober 2023 • Lesedauer 3 Minuten
Zur Verwertbarkeit von unrechtmäßig erlangten Daten im Kündigungsschutzprozess
Der Fall
Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. Juni 2023 (2 AZR 296/22) lag eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Arbeitszeitbetrugs zu Grunde. Die beklagte Arbeitgeberin stützte ihren Sach- und Beweisvortrag auf die Auswertungen einer offenen Überwachungskamera am Eingang des Werkgeländes. Der Kläger machte geltend, die Erkenntnisse der Überwachungsmaßnahme unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot. Bei der Arbeitgeberin existiert eine Betriebsvereinbarung über die Einführung einer elektronischen Anwesenheitserfassung, die regelt, dass eine personenbezogene Auswertung von Daten nicht erfolgt.
Erkenntnisse aus der Entscheidung
Den Schwerpunkt der Entscheidungsgründe bildet die ausführliche Auseinandersetzung des BAGs mit der Rechtsgrundlage einer personenbezogenen Datenverarbeitung durch das Gericht, wenn die vor- oder außergerichtliche Datenerhebung durch eine Prozesspartei unrechtmäßig war. Anders als die Vorinstanzen erkannte das BAG bereits keinen Verstoß gegen die DSGVO und stellte fest, dass selbst bei unrechtmäßiger Datenverarbeitung durch den Arbeitgeber kein Verwertungsverbot der Daten vorliege. Denn ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot in Bezug auf Tatsachen, die ein Arbeitgeber durch eine unrechtmäßige Datenverarbeitung erlangt, komme nur in Betracht, wenn die Nichtberücksichtigung des Vorbringens oder Beweismittels wegen einer durch Unionsrecht oder Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechtsposition des Arbeitnehmers zwingend geboten ist. Dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall, wenn es sich - wie vorliegend - um eine durch eine offene Überwachungsmaßnahme erfasste vorsätzlich begangene Pflichtverletzung handelt. Auf die Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme kommt es in diesem Fall nicht an.
Das BAG befasste sich weiterhin mit der Regelung in der Betriebsvereinbarung zur elektronischen Anwesenheitserfassung, wonach „keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt“. Diese Vereinbarung ändere nichts an der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch das Gericht. Denn es stehe nicht zur Disposition der Betriebsparteien, Verwertungsverbote in Bezug auf das gerichtliche Verfahren zu begründen und damit die Möglichkeit des Arbeitgebers, Tatsachenvortrag über betriebliche Geschehnisse zu halten, zu beschränken. Zudem sei eine Auslegung der Betriebsvereinbarung dahingehend, dass auch bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen keine Auswertung von Daten erfolgen dürfte und damit eine Sanktion solcher Taten vereitelt würde, nicht mit dem „Wohl des Betriebs“ gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG vereinbar.
Hinweise für die Praxis
Die deutliche Positionierung des BAGs bei dem Aufeinandertreffen von vorsätzlich rechtswidrigem Verhalten des Arbeitnehmers und einer offenen, wenn auch nicht rechtmäßigen Videoüberwachung (Datenschutz ist kein Tatenschutz), ist erfreulich. Dennoch zeigen die Vorinstanzen deutlich, dass im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen die Befolgung von datenschutzrechtlichen Vorgaben streitentscheidend sein kann und sich die Auseinandersetzung mit den Rechtsgrundlagen einer Datenverarbeitung spätestens im Kündigungsschutzprozess auszahlt. Für die betriebliche Praxis begrüßenswert ist die Feststellung, dass Regelungen über gerichtliche Beweisverwertungsverbote nicht zum Gegenstand von Betriebsvereinbarungen gemacht werden dürfen.
Die Entscheidungsgründe des BAGs sind hier abrufbar.





